"Kettenbefristung" von Arbeitsverträgen kann rechtmissbräuchlich sein
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat laut Mitteilung der Pressestelle (Pressemitteilung Nr. 54/12) entschieden, dass die Befristung eines Arbeitsvertrags trotz Vorliegen eines Sachgrunds aufgrund der besonderen Umstände rechtsmissbräuchlich und daher unwirksam sein kann. Für das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs können insbesondere eine sehr lange Gesamtdauer oder eine außergewöhnlich hohe Anzahl aufeinander folgender befristeter Arbeitsverträge mit demselben Arbeitgeber sprechen, so das BAG, Urteil v. 18.07.2012; 7 AZR 443/09.
Das BAG hatte über eine Klage einer Justizangestellten zu entscheiden, die beim Land Nordrhein-Westfalen aufgrund von insgesamt 13 befristeten Arbeitsverträgen von Juli bis Dezember 2007 im Geschäftsstellenbereich des Amtsgerichts Köln beschäftigt war. Diese befristete Tätigkeit diente fast durchgehend der Vertretung von Justizangestellten, die sich in Elternzeit oder Sonderurlaub befanden. Die Justizangestellte griff mit Ihrer Klage die Befristung des letzten im Dezember 2006 geschlossenen Vertrags an. Die Vorinstanz, das Landesarbeitsgericht Köln, hatte die Klage abgewiesen (Urteil v. 15.05.2009, 4 Sa 877/08). Das BAG hat dieses Urteil aufgehoben. Es führte hierzu aus, das für die Befristung zwar ein sachlicher Grund vorgelegen habe, allerdings die Gesamtdauer von mehr als 11 Jahren und die Anzahl von 13 Befristungen dafür sprechen würden, dass das beklagte Land die an sich eröffnete Möglichkeit der Vertretungsbefristung rechtsmissbräuchlich ausgeübt habe. Das BAG wies den Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurück, um dem beklagten Land Gelegenheit zu geben, noch besondere Umstände vorzutragen, die der Annahme des an sich indizierten Rechtsmissbrauchs entgegenstehen.
In einem anderen Fall hat das BAG laut Mitteilung der Pressestelle die Klage einer bei einem Einzelhandelsunternehmen tätigen Arbeitnehmerin abgewiesen. Diese war vom 01.03.2002 bis zum 30.11.2009 aufgrund von vier jeweils befristeten Arbeitsverträgen bei dem Unternehmen beschäftigt. Die letzte Befristung erfolgte zur Vertretung eines in Elternzeit befindlichen Arbeitnehmers. Das BAG sah die Befristung als gerechtfertigt an. Angesichts der Gesamtdauer von sieben Jahren und neun Monaten sowie der Anzahl von vier Befristungen sah das BAG keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs. (Urteil v. 18.07.2012, 7 AZR 783/10).
Die Pressestelle teilte weiter die Ausgangssituation für die Entscheidungen wie folgt mit:
Die Befristung eines Arbeitsvertrages ist nach § 14 Abs. 1 Satz Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) zulässig, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. Das Gesetz nennt beispielhaft solche sachlichen Gründe. Ein Sachgrund liegt nach dem Gesetz vor, wenn der Arbeitnehmer zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers beschäftigt wird. Nach der Rechtsprechung des siebten Senats des BAG steht auch eine größere Anzahl der mit einem Arbeitnehmer geschlossenen befristeten Verträge dem Sachgrund nicht entgegen. Ein bei dem Arbeitgeber vorhandener ständiger Vertretungsbedarf schließe den Sachgrund nicht aus. Weiter teilte die Pressestelle mit, dass der siebte Senat Bedenken gehabt habe, ob er aus Gründen des Unionsrechts gehindert sei, an dieser Rechtsprechung uneingeschränkt festzuhalten. Er habe sich deshalb unter Bezugnahme auf einzelne unionsrechtliche Bestimmungen an Europäischen Gerichtshof EuGH mit der Frage gewandt, ob es mit unionsrechtlichen Bestimmungen vereinbar sei, die wiederholte Befristung eines Arbeitsvertrages auch dann auf den im nationalen Recht vorgesehenen Sachgrund der Vertretung zu stützen, wenn bei dem Arbeitgeber ein ständiger Vertretungsbedarf bestünde, der ebenso durch unbefristete Einstellungen befriedigt werden könnte. Der EuGH entschied daraufhin mit Urteil vom 26.01.2012, C-586/10, dass der Umstand, dass ein Arbeitgeber wiederholt oder sogar dauerhaft auf befristete Vertretungen zurückgreife, weder der Annahme eines sachlichen Grundes nach der zugrunde zu legenden unionsrechtlichen Rahmenvereinbarung entgegen stehen würde, noch daraus das Vorliegen eines Missbrauchs im Sinne der unionsrechtlichen Bestimmung folgen würde. Die nationalen staatlichen Stellen müssten aber auch bei Vorliegen eines sachlichen Grundes alle mit der Verlängerung der befristeten Verträge verbundenen Umstände berücksichtigen, da sie Hinweis auf Missbrauch geben könnten, die durch die unionsrechtliche Rahmenvereinbarung verhindert werden solle. Bei dieser Prüfung könnten sich die Zahl der Dauer der mit demselben Arbeitgeber geschlossenen aufeinander folgenden Verträge als relevant erweisen.
Hiervon ging das BAG bei seinen Entscheidungen aus. Es entschied, dass das Vorliegen eines ständigen Vertretungsbedarfs der Annahme des Sachgrunds der Vertretung nicht entgegenstehe, sondern an den Grundsätzen der Sachprüfung uneingeschränkt festgehalten werden könne. Allerdings könne unter besonderen Umständen die Befristung eines Arbeitsvertrages trotz Vorliegens eines sachlichen Grundes wegen rechtsmissbräuchlicher Ausnutzung der an sich eröffneten rechtlichen Gestaltungsmöglichkeit unwirksam sein, so das BAG. An einen solchen nur ausnahmsweise anzunehmenden Rechtsmissbrauch seien hohe Anforderungen zu stellen. Alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere aber Gesamtdauer und Anzahl der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen aufeinander folgenden befristeten Verträge seien dabei zu berücksichtigen.