Ein Artikel von Nicola Sieverling - Erschienen in "Hamburger Wirtschaft", dem Mitgliedermagazin der Handelskammer Hamburg.
Schlechte Zeiten, gute Zeiten
Jede Medaille hat zwei Seiten – auch für die Wirtschaft, in der es in Zeiten der Krise Gewinner und Verlierer gibt. Überraschungserfolge feiern die Event- und die Reisebranche.
Bei Carlos Claussen und seinen vier Partnern klingelt seit einem halben
Jahr das Telefon deutlich öfter als zuvor. Meist Anfragen von
Unternehmern aus dem Mittelstand mit hohem Beratungsbedarf. „In
schlechten Zeiten werden die Verträge stärker
überprüft, können wir da noch etwas machen?“,
lautet die häufigste Frage, so Rechtsanwalt Claussen, der seine
Sozietät in der Mönckebergstraße hat. Ob die
Kündigung des teuren Mietvertrages, die Entlassung von
Mitarbeitern zur Senkung der Personalkosten oder die Auflösung des
Leasingvertrages für den Firmenfuhrpark – in schlechten
Zeiten loten viele Mittelständler nachträglich
Einsparpotenziale aus und bescheren den Anwaltskanzleien mehr
Aufträge. Oftmals rächt sich die Vertragsgestaltung in
Eigeninitiative mit dem schnellen Herunterladen der Dokumente aus dem
Internet. „Aus Kostengründen haben das viele Unternehmen
selbst gemacht“, sagt Rechtsanwalt Manfred Abt, der mit seinem
Bruder eine Kanzlei in der Stresemannstraße führt.
Bei Anwalt Matthias Leutke von der Kanzlei Dr. Scheffler und Partner im
Stadtteil Hohenfelde besteht vor allem Diskussionsbedarf bei Mandanten,
die sich mit ihren Banken beraten müssen, um beispielsweise mit
frischen Krediten die Auftragsrückgänge zu
überbrücken. „Rückenwind haben dadurch auch
Unternehmensberater, die dann von den Banken beauftragt werden“,
so Leutke. Die Auswirkungen der Krise auf die Wirtschaft sind seit
September vergangenen Jahres mit hoher Geschwindigkeit bei den
Insolvenzberatern zu spüren. Von einer „massiven
Intensivierung des Beratungsbedarfes“ spricht gar Lars Westpfahl
von der Großkanzlei Freshfields in den Alsterarkaden. In Hamburg
sei besonders die Schifffahrtsbranche in Schieflage geraten, weil vor
der Krise viele Schiffe bestellt worden seien. Mit der Analyse von
angeschlagenen Unternehmen hat auch Detlef Klör alle Hände
voll zu tun. „Die Insolvenzen sind deutlich angestiegen. Das geht
durch alle Branchen und ist konjunkturabhängig. Die Werbebranche
und PR-Agenturen sind oft betroffen, aber auch Einzel- und
Großhandel“, sagt der Unternehmensberater.
Wer den Gürtel enger schnallen muss, der nutzt oftmals die
Dienstleistung von IT-Experten, die die Pflege und Aktualisierung der
Software ebenso wie die Datensicherung übernehmen.
IT-Dienstleister wie Capeletti und Perl freuen sich über diesen
Trend in der Krise. „Die Kostenstabilität, individuell
gestaltete Serviceverträge und die Anbindung an ein eigenes
Rechenzentrum bescheren uns zahlreiche Neukunden“, lautet die
Bilanz von Geschäftsführerin Verena Müller-Thiel. Die
Prozessbegleitung von freigesetzten Mitarbeitern - das vom Unternehmen
finanzierte Outplacement - steht nicht nur für eine hohe Kultur
der Arbeitgeber, sondern ist ein weiteres Merkmal der Wirtschaftskrise.
Die Newplacement AG mit Sitz in Hamburg gibt verstärkt
Hilfestellung für die Spielregeln des Bewerbungsmarktes.
Unterstützung zur Orientierung bietet Business-Coach Jo B. Nolte.
Sie berät Existenzgründer: „Früher waren es meist
arbeitslose Kandidaten. Heute sind meine Kunden Unternehmen, die ihrem
Arbeitnehmer neben der Abfindung dieses Programm anbieten.“ Ein
Trend, den auch Thorsten Visbal bestätigt. Er verzeichnet seit
Jahresbeginn deutlich mehr Gründungsberatungen. „Hoch
qualifizierte Leute wagen den Sprung in die Selbstständigkeit. Die
Besten gehen zuerst“, sagt der Coach und Berater. Vielleicht
führt der neue Weg in die IT-Branche, denn die ist nach Ansicht
von Svenja Hofert trotz Krise der Karrieremotor. „Mittel- und
langfristig bietet der IT-Sektor die zukunftssichersten und
flexibelsten Berufsfelder überhaupt“, schreibt die Hamburger
Karriereberaterin in ihrem „Praxisbuch IT-Karriere“.
Der Krise zum Trotz hält auch die Reiselaune ungemindert an. Die
Branche verzeichnet sogar ein Auftragsplus. Spezialanbieter wie
Reise-Horizonte in Eimsbüttel haben seit Jahresanfang 20 Prozent
mehr Buchungen. „Unsere Kunden sind meist Paare im Alter von 45
bis 65 Jahren, an denen die Wirtschaftskrise vorbeigegangen ist. Sie
wollen gemeinsam neue Reiseziele entdecken“, sagt Andrea
Kronberg, Inhaberin von Reise-Horizonte.
Brot und Spiele für das Volk: Was im römischen Reich galt,
hat heute noch immer Bestand, denn auch die Veranstaltungswirtschaft
boomt. Bei Konzerten klingeln weiterhin die Kassen. „Insgesamt
kommt der Branche die demografische Entwicklung zugute. Fast die
Hälfte der Konzertbesucher ist über 50 Jahre alt“,
weiß Jens Michow. Der Hamburger ist Präsident und
Geschäftsführer des Bundesverbandes der
Veranstaltungswirtschaft, Interessenvertretung von über 300
Unternehmen der deutschen Konzert- und Eventbranche. Die Zielgruppe der
Besucher unter 20 Jahren sei unabhängig davon kontinuierlich
gewachsen, und auch die gestiegenen Eintrittspreise hätten die
Lust an Livekonzerten nicht geschmälert, so Michow.
Nicola Sieverling
redaktion@hamburger-wirtschaft.de
Telefon 36 13 8 305
Hamburger Wirtschaft, Ausgabe April 2009